Mittwoch, 14. Juni 2006

fahne raus

"Im Istanbuler Stadtviertel Cihangir lebten bis vor kurzem in den heruntergekommenen Mietshäusern einer abgelegenen Strasse Transvestiten. Die meisten von ihnen sicherten sich ihren Lebensuntehalt durch Prostitution, so dass in der Strasse ein ungutes Klima herrschte, das die umliegenden Bewohner nicht mehr hinnehmen wollten. Sie erklärten dieses Jahr den Transvestiten den Krieg, brachten den sittenstrengen Teil der Presse, die öffentliche Meinung und die Polizei auf ihre Seite und benützten in ihrem Feldzug zur Vertreibung der Transvestiten auch die türkische Fahne als Waffe, und zwar auf recht eigenartige Weise. Es wurde das Motto ausgegeben, wer gegen die Transvestiten sei, solle eine Fahne hissen, und bald war so gut wie die ganze Straße beflaggt. Für die Bewohner besagten diese Fahnen "Wir wollen hier keine Transvestiten". Nach Mitternacht aber nahmen sie eine Bedeutung an, die von der in meiner Kindheit üblichen erheblich abwich. Die vorwiegend betrunkenen Männner, die um diese Zeit in die Strasse kamen, nutzten nämlich die Fahnen zur Orientierung, also um zu wissen, wo Prostituierte überhaupt noch wohnen."
Orhan Pamuk, Meine Flagge

"Ich komme vom Land und bin Sohn einer Bauernfamilie. Meine Kindheit verlebte ich während der Blütezeit des türkischen Nationalismus. Ich war von Geburt wegen der „Andere", d.h. Kurde. Ich bin in einer repressiven Stimmung groß geworden, die auf den Militärputsch folgte. Als Kind war ich eher ängstlich und versuchte ständig, die Anerkennung anderer zu erhalten: von meiner Mutter, von meinem Vaters oder von meinen Lehrern. Besonders außerhalb der Familie strengte ich mich ganz beachtlich an, mir „Aber"s zu verdienen: „Kurde aber gut", „Kurde aber erfolgreich", „Kurde, aber er spricht perfekt türkisch." Während der Pubertät entdeckte ich, dass ich schwul bin. Obwohl es lange Zeit brauchte, dies vor mir selber zuzulassen, war es doch ein Riss in meinem gläsernen Schutzmantel. Denn nun konnte kein weiteres „Aber" diesen Mangel ausgleichen..."



Mehmet Tarhan, türkischer Kriegsdienstverweigerer.
Dass er schwul ist, sollte nur ein Detail sein, ist es aber nicht. Wer sich zu ihm informieren möchte, erfährt nebenbei auch einiges über die heutige Türkei - seinem Mut auch, vor allem aber seiner überlegenen Klarsicht mein größter Respekt! (auch hier)

einen persischen türken in istanbul auf französisch lesen.

Celui qui dans son coeur recèle un amour, une quête,
si son âme ne s'ouvre pas aux autres, il existe une raison à cela.
Va, reste en attente devant la demeure du coeur: car le Bien-Aimé invisible
vient à l'aube, ou bien au milieu de la nuit.
Une âme séparée est à la recherche de Dieu.
C'est une chose rare, c'est une chose étrange.
Des yeux qui, à partir de ce palais, en apercevoient une autre,
possèdent la vision et méritent la louange.
Celui qui est ainsi vit dans la proximité de l'âme;
au moment de la mort, il est rempli de joie.
Quand son pied heurte une pierre, une perle tombe dans sa main;
Quand son âme vient à ses levres elle rencontre l'Amour plein de douceur.
La couronne n'a point de prestige à ses yeux.
Bien que sans père ni mère, il est de haute lignée.
Reste silencieux. Ne dévoile pas partout les sécrets:
Dans l'assemblée des êtres aux âmes légères et pures, Bû-Lahab se trouve aussi.

Mevlana Djalal Od-Din Rumi.

Soviel zu ergriffener Liebesmystik. Statt jetzt in sowas zu versinken, sollte ich wohl doch mal lieber den Langenscheidt aufschlagen - oder ich werde niemals einen türkischen Konsekutivsatz bilden können...

sein freund herodot

"Ich bin überzeugt davon: Herodot ärgerte sich über Hotels!
Er resignierte und schrieb die wichtigsten Kapitel, während das Zimmermädchen bohnerte.
Die Priester in Ägypten brachten ihn zum Auswachsen!
Er aß gerne Austern und besuchte schwule Bäder!
Aber was machte er gegen Läuse?
Mich stört, dass er seine Reisen dadurch finanzierte, dass er Ersatzteile verhökerte.
Aber ich höre die Redakteure, wenn er zurückkam. Herrn Doktor Thukydides und Genossen. Das interessiert doch unsere Hörer nicht - Schwarze, Bauernprobleme, die Skythen. Ich bitte Sie.
Man wusste nicht, was er dachte.
Gelegentlich entschlüpft ihm das Wort Schönheit."
H.Fichte, Mein Freund Herodot

istanbul, für kurze zeit mit etwas anderem verwechselt

still6

...und dann mit Faustin und einer finnischen Freundin aus dem Sprachkurs ins Kino gehen, in einen Film, auf den man schon lange gewartet hat. Na schön, Duncan Tucker ist kein Almodóvar, das nicht. Aber Felicity Huffman jedenfalls sollte eine von dessen Darstellerinnen werden: Und auch wenn Bree mir manchmal ein bisschen zu übertrieben war, am Ende war ich doch in sie verliebt, und die Szene, wo ihr 'Sohn' ihr vor versammelter Familie nebst Restaurantinsassen den Stuhl an den Tisch rückte, fand ich wunderbar.
Aber überhaupt: Das hier zu zeigen. Das hier sehen zu dürfen. Dass eine 'Transe' (den Unterschied hat sie ja im Film selbst schön erklärt) keine Unterart von einem Paradiesvogel ist, den man wahlweise kurz durchorgeln oder in einer Seitenstrasse zusammenschlagen kann, dass sie ein Mensch ist, der versucht klarzukommen, wie alle andern auch und es dabei nicht unbedingt leichter hat - dass hier in einem Istanbuler Kino sehen zu können, hatte für 5 Minuten sowas Befreiendes (welche Leute um mich? Weder voll noch viele Türken, die meisten in der Pause englischsprachig. Aber immerhin: Ein Paar Frauen hinter, ein dicker Bär vor mir..), dass ich mit diesem Kommunikationsbedürfnis sogar noch eine ganze Zeit danach durch die Strassen lief. "Das müsst ihr doch verstehen, das ist doch eigentlich ganz simpel..."
(So muss sich wohl Miron damals bei Brokeback Mountain in Warschau gefühlt haben, während mir selbst bei dem die Maraisbewohner etwas auf den Zeiger gingen..)
Dann wieder am Hilton vorbei, nach Hause, die 'echten' Transen da dann wieder so abgebrüht schrill bei der Arbeit, dass es für mich auch was letztlich total Unnahbares hat. Irgendwann so gut türkisch können, um mit denen irgendwie mal zu plaudern. Auf englisch find ich das blöd.

2 maenner, die strasse überquerend das wetter ist schlecht.

So. Seit einem Jahr nun nicht mehr auf dieser Seite gewesen, geschweige denn etwas an ihr gemacht, vom Bloggen versteh ich noch immer nüschte. Aber seit gestern hab ich endlich einen digitalen Fotoapparat, um auch Anteil an allem Heutigen nehmen zu dürfen, und das wird jetzt hier ausprobiert. Vor einem Jahr ein geklautes Bildchen von sich seifenden Typen ins Netz gestellt mit der Vorfreude auf Istanbul - da war ich noch nichtmal in Paris angekommen. Und jetzt bin ich endlich schon seit drei Wochen in dieser eigentlichen Hauptstadt der Türkei und trau mich dennoch kaum mal, die hiesige männliche Bevölkerung zu fokussieren - noch zu verwirrt von der alles durchdringenden Ambivalenz, die hier wie Schleier die örtlichen Geschlechtergrenzen umspielt (was für ein verqueres Sprachbild ist das denn, bleibt aber drin): Da läuft hier jeder mit seinen Gleichgeschlechtlichen auf Tuchfühlung, wie es enger kaum ginge - und sagt damit genau das Gegenteil von dem, was unsereins noch immer nicht aufhörn kann, zu dechiffrieren: Nein, nicht schwul. Lächeln werden dann auch meist antiproportional quittiert.
Trotz alle dem: Geile Stadt. Mein Mitbewohner z.B.: Wenn ich das richtig verstanden habe wohl auch homophob, (wir verstehen nicht viel voneinander, da ich seine Sprache nicht und er die meinen noch nicht spricht, und so lavier ich mich an dieser Grundsatzdiskussion noch etwas vorbei und suche stattdessen nach Mit-lgbt-etc.-Verbündeten), aber wo sonst trifft man zufällig einen Thrakier, der mit solcher Leidenschaft Instrumente spielt vom Balkan bis nach Persien, die man in EU-Europa mit Müh und Not mit dem Synthesizer nachmischen muss? Die Hälfte der Crossing The Bridge-Musikanten scheint zumindest mit ihm bekannt zu sein, und so wurde ich denn auch zum Beispiel schon dem Sänger der Siyah Siyah Band vorgestellt - auch wenn der mich dann eher etwas verschreckt hat. Zwei Meter. Sein Name ist Bison. Ob das auch im Pass steht wollte ich nicht fragen. Die Band aber liebe ich...
Gekifft wird tagein tagaus, heute morgen erkärte mir Ugur (man muesste noch ein Häkchen aufs g machen, was mein Rechner nicht kann, und es aussprechen wie Uromi oder Armbanduhr und dabei wissen, dass es eigentlich Glück heisst), heute also erklärte mir mein Glück, warum: dazu malte er eine hübsche Zeichnung mit vielen Männchen und Fragezeichen, was meinte my life is a question.
Meines auch, trotzdem muss dieses Vielgekiff wieder eingeschränkt werden, denk ich dann abends, wenn ich sinnend durch mein Vögele hindurch nach draussen seh. Das war schon vor mir da, in dem was wohl des Vormieters Kinderzimmer war, und einen Namen scheint es nicht zu haben. Wäre es kitschig ihm einen zu geben..?

resize-of-rotation-of-dsc00010

Ach so, und jetzt die 2 Maenner: Absolut eurogay-ungeeignet, einen Fotopreis wird es auch nicht gewinnen, bei schlechtem Wetter aus der Hüfte aus dem Bus - trotzdem mag ichs. Cyrus Atabay hat mal ein schönes Gedicht zu den zwei sich liebenden Maennern von Francis Bacon geschrieben (leider hab ichs nicht hier und im Netz nicht zu finden, wer kennts?) und das Bild hat für mich sowas wie dessen Fortsetzungscharakter. Sich aus dem Schemenhaften schälen oder so...

2maenneraufstrasse

Literatursuche gestaltet sich für den BerlinParisverwöhnten hier wider Erwarten übrigens doch schwerer als gedacht: Das Institut Francais konnte ich gerade noch um einige historische Reiseberichte und Genets Journal erleichtern, bevor es dann bis September schloss, übermorgen macht Goethe zu: Hans Henny Jahn und der halbe Fichte waren da. Scheinbar selten entliehen hier...

Naja, mein Praktikum bei der Tarih Vakfi hat dann inoffiziell auch schon begonnen und so freu ich mich als aktiver Bittsteller für die während der nächsten acht Monate an europäischen Förderertüren zu klopfen, damit die dazu beitragen, dass auch aus diesem so schönen Land ein bisschen der Militarismus und die Diskriminierungen verschwinden.
Und tausend Fragen zu diesem Land! Zum Gestern und zum Vorvorgestern, zum Heute, zum Innen und zum Aussen - und auch natuerlich: zu Atatürk. Wer ist der Mann hinter der Gipsbüste? Stimmt es, wie von üblen Hetzern und Nestbeschmutzern gemauschelt wird, er soll eigentlich auch ein ibne und Hinterlader gewesen sein? Oder wie sind dessen Vorlieben nicht anachronistisch zu verstehn und so weiter?
Wieder bei all diesen Fragen als treuer Begleiter und Frageninspirateur: Mein Freund Fichte...
Ach, und übrigens, hätten Sies gedacht: Nicht nur, dass die Tarih Vakfi zur Zeit eine weitere Praktikantin unterhält, nicht nur, dass diese auch aus D-land kömmet, nein, so ist sie am Ende sogar auch - Kinder, was haben wir gelacht...

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